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Donnerstag. Wochenendfeeling.

Unser Tag im Detail

 

„Good Morning Amman, 32° C“ steht auf dem elektronischen Werbeplakat, an dem ich jeden Morgen vorbei fahre. Ich nutze immer noch das Handy-Navi, um mein Büro zu finden und versuche mich langsam auf den unzähligen sechsspurigen Stadt-Highways, den chaotischen Kreisverkehren und den Tunnelsystemen zu orientieren, die von einem zum anderen Berg führen.

 

Amman ist nach Bergen und Circles eingeteilt
Amman ist nach Bergen und Circles eingeteilt

 

Wer sich in der 5-Millionen-Einwohner Stadt zurechtfinden will, muss die Namen der Berge (in Arabisch „Jabal“) bzw. die Nummerierung der Kreisverkehre lernen. Denn zur Orientierung heißt es hier zum Beispiel "südlich des 6. Circle" oder "Jabal Amman". Ein Ausblick jagt hier dementsprechend den anderen....wenn man von ganz oben des Berges tief runter auf die Straße vor sich blickt, und die Autos unten wie Playmobil aussehen. Oder wenn ich unten im Tal fahre, und sich nach der Kurve plötzlich wieder ein Berg auftürmt, der tausende kleine Häuser aus Naturstein und mit Flachdächern beherbergt.

 

So wie früh möglich fahre ich zur Arbeit. Dann ist es erstens noch schön kühl (32° Grad haha, hatte ich schon erwähnt, oder?) und zweitens habe ich dann am Nachmittag früher Feierabend. Besonders am Donnerstag praktisch. Wochenendfeeling.

 

Im Büro bin ich heute die erste Stunde alleine. Dann kommen meine zwei Kolleginnen (sie sind aus Polen) zur Arbeit. Das ist für mich Anlass für eine erste kleine Pause, um die Neuigkeiten zu erfahren. Wer wissen will, was in Amman abgeht, vor allem nach Sonnenuntergang, muss sich eigentlich nur mit diesen zwei Frauen unterhalten. Ihre Erlebnisse und Geschichten sind so witzig wie unglaublich, dass ich mehrmals nachfrage: „Ist nicht wirklich so passiert, oder?“ Von einer nächtlichen Geburtstagsüberraschung mit Pizzakuchen auf dem Dach eines leerstehendes Kaufhauses oder der Unterhaltung mit einem Polizisten und seiner Familie, die bis vier Uhr morgens andauerte und dann sogar noch zusammen Essen bestellt wurde, ist alles dabei.

 

Die bekannte Rainbow-Street auf dem "Jabal Amman"
Die bekannte Rainbow-Street auf dem "Jabal Amman"

Eid wird auch noch eine Woche später gefeiert

 

Heute habe ich eine 9 KG schwere Wassermelone mit zur Arbeit geschleppt. In den letzten Tagen wurde ich von den jordanischen Kolleginnen und Kollegen mit den leckeren arabischen Süßigkeiten verwöhnt. Ramadan ist zu ende, und das wird auch noch eine Woche später zelebriert. Heute gibt es wie gesagt mal etwas ohne Kalorien :) Ich schneide sie in der kleinen Büroküche und teile es auf Teller auf. Mein kleiner Snack wird lobend verköstigt. Diverse Zoom-Konferenzen, einer Ausarbeitung zum Thema „Nutzung des Dienstfahrzeugs für Friedenfachkäfte“ und einem gefilmten Interview später, bin ich im Grunde bereit für das Wochenende. Donnerstag ist der letzte Arbeitstag der Woche in Jordanien. Freitag & Samstag habe ich frei.

 

Während ich meinen Kamerarucksack und die Laptoptasche packe, kommen drei Leute rein, die ich noch nicht kenne.

 

Schnell werde ich vorgestellt und erfahre, das ist der Ehemann, der Schwager und die Schwester meiner Kollegin. Sie sind gekommen, um mich kennen zu lernen, und um ein paar Dinge im Büro zu erledigen. Das Gespräch ist so spannend, dass ich mir nochmal einen Tee koche. Die zwei Brüder begrüßen mich auf deutsch, das haben sie an der Uni gelernt. Schnell bin ich in Zugzwang und soll meine Arabisch-Kenntnisse präsentieren. "Marhaba. Ki-falak? Ana Ismi Laura. Alhamdulillah".

 

Ich erfahre, warum viele arabische Wörter von Frauen anders ausgesprochen werden als von Männern. Und warum die Golf-Staaten so viele TV-Serien produzieren. Und warum Mädchen in Jordanien oft „Papa-Kinder“ sind. Aber das sind andere Geschichten. Ich erfahre auch, dass die Großeltern meiner neuen Bekannten aus dem Gebiert des heutigen Israels stammen....Eine Geschichte, die die Hälfte aller Jordanierinnen und Jordanier über sich erzählen können. Ein Schicksal, dass verbindet. Nach dem netten Plausch, starte ich einen zweiten Versuch, meine Tasche zu packen. Da kommt gerade mein Chef von einem Meeting zurück. Nun gibt es eine weitere Tasse Tee und natürlich ein Update. Wir besprechen, wie ich hier am einfachsten ein Bankkonto eröffnen und meine Aufenthaltsgenehmigung erhalten kann. Kommende Woche steht auch noch meine erste Dienstreise auf dem Plan und wir klären ein paar Details.

 

Jetzt geht es nach Hause. Morgens brauche ich 10 Minuten und nachmittags für die gleiche Strecke 22 Minuten. Na immerhin wünscht mir das nette Werbeplakat jetzt einen „good afternoon“.

 

Johanna springt mir in die Arme und erzählt mir aufgeregt, was sie heute alles erlebt hat. Kurz esse ich die Reste des Mittagsessens auf (Penne Al-Arrabbiata) und Tobias bestellt währenddessen den Wocheneinkauf in der App "Talabat". Bevor ich meinen Teller wegräumen kann, klingelt es, und der Supermarkt liefert die gewünschte Lebensmittel gratis. Seit Wochen schleiche ich hier um ein kleines Paket Blaubeeren herum. Es kostet umgerechnet 5 Euro. Unglaublich teuer. Deshalb habe ich es bis jetzt auch nicht gekauft. Irgendwie giert es mir aber nach einem leckeren Blaubeer-Smoothie....deshalb freue ich mich riesig, dass Tobias mir die Entscheidung abgenommen hat, und die kleinen blauen Früchte in der Einkaufstüte auftauchen. Yippih. #YOLO

 

 

Dann starten wir Richtung Kindergeschäft. Johanna braucht eine neue Sonnenbrille. Es ist so ärgerlich, ich hatte drei Kinderbrillen aus Deutschland auf Vorrat gekauft, doch die sind irgendwie beim Auspacken nicht mehr aufgetaucht. Nun habe ich einen Tipp von einer Freundin bekommen, wo es ordentliche Brillen für Kinder gibt und wir wagen den dritten Anlauf. Der Weg führt uns zu einem „Chicco“-Store. Tobias hat seine Maske vergessen. Kein Problem, wir bekommen im Laden eine frische geschenkt. Wir müssen leider 20 JD (23 Euro) zahlen für die Brille...Aua....Das wären bei Rossmann vier Brillen gewesen. Amman ist ein teures Pflaster, nicht zuletzt weil auf jedes importierte Gut 30% Steuern aufgeschlagen werden.

 

 

 

Ein Traum: Die Spielecke im Wild Jordan Center
Ein Traum: Die Spielecke im Wild Jordan Center
Ziemlich verlässlich gegen 19.30 Uhr geht die Sonne unter
Ziemlich verlässlich gegen 19.30 Uhr geht die Sonne unter

 

Mit einem glücklichen Kind im Kindersitz fahren wir weiter zu dem Restaurant „Wild Jordan Center“. Wir sind hier mit einer befreundeten Familie mit zwei kleinen Kindern verabredet, die wir in der Vorbereitung in Deutschland bereits kennen lernen durften. Das Restaurant ist für seine unglaubliche Aussicht bekannt und bei Eltern übrigens auch wegen der grandiosen Spielecke. Unser Plan geht auf, die Kinder spielen zusammen (also sie verwüsten den Indoor-Spielplatz), und wir Erwachsenen können in Ruhe essen.

 

Wild Jordan Center von Innen
Wild Jordan Center von Innen

 

Dann machen wir etwas, was ganz und gar nicht jordanisch ist: Wir teilen die Rechnung! Das würde hier normalerweise nicht passieren. Es ist eher so, dass bei einem gemeinsamen Essen einer der Männer zahlt, und beim nächsten Mal ist automatisch der andere dran. Frauen, die nicht verheiratet sind, haben es ziemlich gut, sie müssen nämlich nie zahlen. Auch nicht beim nächsten Mal.

 

Ausblick von der Lounge-Terasse im Wild Jordan Center
Ausblick von der Lounge-Terasse im Wild Jordan Center

 

Auf dem Rückweg werden wir nochmal daran erinnert: Ja, es ist Wochenende. Die Stadt ist nicht wider zu erkennen. Sündhaft teure Autos fahren herum, um gesehen zu werden. Die Restaurants sind gefüllt, auf den Bürgersteigen tummeln sich Familien, auf Kreisverkehren wird Picknick gemacht, Bars haben ihre Lichtershow eingeschaltet, in den Alkohol-Stores wird Schlange gestanden und am Straßenrand wird Popcorn und Zuckerwatte „to-go“ verkauft. Kinderköpfe schauen aus den Auto-Dachfenstern und lassen palestinänsische Flaggen und Fahnen wehen. Johanna ist ganz aufgeregt und versucht allen KameradInnen gleichzeitig zurück zu winken. Laute arabische Musik schallt sowohl aus den Autos als auch den Restaurants.

 

 

 

Und damit schließt sich der Kreis...ich sitze gerade draußen auf unserer Terrasse vor meinem Laptop, schreibe dieses Blogeintrag, trinke einen Zitronenlimonade und denke mir beim Schreiben dieser Zeilen „Was war das eigentlich für ein cooler Tag!“

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Kommentare: 3
  • #1

    Andrea (Freitag, 21 Mai 2021 17:29)

    Liebe Laura, das sind wunderbare Eindrücke von eurem neuen Leben in Amman und ich kann mir jetzt vieles sehr gut vorstellen durch die tollen Fotos und deine Texte! Und zugegeben: Es ist alles deutlich anders als ich es mir vorgestellt habe!!! Ich bin ziemlich beruhigt und hoffe sehr, dass euch die positiven Eindrücke weiterhin begleiten.
    Achim hat recht, Johanna im Olivenhain ist wirklich total süß :-))

  • #2

    Anke (Freitag, 21 Mai 2021 19:05)

    Hallo Laura, schön auf diesem Weg von deinen Abenteuern zu lesen. Wünsche dir und deiner kleinen Familie alles Gute.

  • #3

    Los Fritzkos (Freitag, 21 Mai 2021 20:45)

    Das hört sich alles sehr spannend an . Und es bahnt sich auch etwas Vorfreude an , auf einen baldigen Besuch �