Reisereportage aus dem "Federal" Irak
Meine Gesprächspartnerinnen an diesem Morgen sind zwischen 32 und 39 Jahre alt. Sie alle haben mindesetens einen Masterabschluss, eine von ihnen sogar einen Doktortitel in Molekular-Medizin. Durch bodentiefe Fenster schaue ich raus: Der Verkehr ist dicht, doch es wird nicht gehupt. Wir sitzen über unseren Kaffees, Eistees und Apfelkuchen und unterhalten uns, über was Frauen sich eben unter sich so unterhalten. Dass mein Matcha Tee mit Sojamilch ganz ohne Zucker zubereitet wird, war eine lange, aber freundliche Diskussion. Jede Menge Zucker Alternativen hätte es gegeben, doch ich verneinte. Dann grinste mich die Bedingung an und sagte etwas sarkastisch: „Enjoy the bitterness“.
Unsere Damenrunde, mit fancy Getränken könnte sich irgendwie in jeder Stadt abspielen. Selbst an dem Kleidungsstil der gerade anwesenden KundInnen würde man nicht ableiten, dass wir in Downtown Bagdad sitzen. Die 48 C Grad würden es vermutlich verraten, aber davon spüren wir in der runtergekühlten Innenluft nichts.
Basma, eine meiner neuen Freundinnen, erwähnt, dass noch vor wenigen Jahren, keines solche Kaffeehäuser existierte: „Das waren alles Wohnviertel, wo jetzt hippe Restaurants, Cafés und Ausgehmöglichkeiten für Paare entstanden sind. Niemand wollte ausgehen, niemand traute dem Nächsten. Überall hätte eine Bombe hochgehen können.“
Mir fällt auf, dass keine der Frauen einen Ring trägt. Also frage ich nach: „Seid ihr verheiratet? Habt ihr Familie?“ Als erste, spontane Antwort, wird gelacht und geantwortet: „Wären wir verheiratet, säßen wir ganz bestimmt nicht hier. Da hätten wir an einem Samstagnachmittag andere Verpflichtungen. Aber wir sind frei.“
Doch je tiefer man zu diesem Thema bohrt, umso traurige die Realitäten. Der Irak wurde von einem Konflikt in den nächsten gezogen, Jahrzehnte lang Krieg – das zeigt sich auch am demographischen Gesellschaftsbild: Viele junge Männer sind gestorben oder werden bis heute vermisst.
Vor zwei Jahren hatte der Irak ein ganz unkompliziertes „Visa on Arrival“ für fast alle Nationen eingeführt. Die Anreise ist dementsprechend einfach. Ein Taxi zum Festpreis kann man am Flughafen bestellen, am Drive-Through-Schalter wird an einem kleinen Fenster aus dem Auto heraus gezahlt – je nach Google-Location. Gezahlt wird entweder in USD oder dem irakischen Dinar.
Mein Hotel liegt wunderschön, an der Uferpromenade des Tigris, und von meinem Balkon werde ich die schönsten Sonnenuntergänge während meines Trips sehen. Von dem Hotel erreicht man fußläufig auch einen Park, mit Laufstrecke. Leider habe ich keine Sportschuhe dabei – daran habe ich nun wirklich nicht gedacht, als ich mir meinen Trip nach Bagdad geplant habe.
Bagdad kann man am besten zu Fuß oder mit dem Uber erkunden. Zuerst laufe ich in meiner Freizeit zum Tahrir Square, wo es, wie fast überall in der arabischen Welt, 2014 Proteste und Demonstrationen gab. Heute ist es ein ganz normaler Kreisverkehr, der auch nicht übermäßig bewacht wird: Vier Panzer, jede Menge Einsatzwagen und bewaffnetes Militär sind zwar vor Ort. Doch das ist, wie ich noch lernen werde, einfach der Standard and allen öffentlichen Plätzen in Bagdad. Der Zugang zum Busbahnhof, die Zufahrt zu Brücken, wichtige Zufahrtsstraßen, Kirchen, Zentralmoscheen…dies alles wird vom Militär verwaltet wie ich sehe. Selbst das Boarding am Flughafen am Ende meines Trips und die Sitzzuweisung werden vom Militär übernommen.
Weiter geht es zum Fidros Platz, wo einst die Saddam Hussein Statue gestürzt wurde. Jetzt finde ich an dieser Stelle nur noch einen Mülleimer. Welch Ironie. Das Viertel rund um die Rasheed Street ist wunderschön und antik. Es gibt viele Märkte (Zum Beispiel für Bücher, Kupfer und Glas). Der Taxifahrer, der mich dort absetzt, nimmt kein Geld von mir an. Drei Mal hake ich nach (so kenne ich das aus Jordanien) doch das hier ist keine Höflichkeit! Der Mann möchte absolut kein Geld von mir und wünscht mir die beste Zeit im Iraq.
Natürlich esse ich auch ein Falafel Sandwich und bewerte es im kritischen Vergleich mit den Nachbarländern. Doch was soll ich sagen: Im Irak esse ich die leckerste Falafel, die ich im Nahen Osten jemals aß. Auch das Konzept, dass ich mir die Salate selber mischen und portionieren kann, spricht mich sehr an. Endlich konnte ich mal so viel Auberginen-Paste nehmen, wie ich will! Vom Nachbartisch kam dann aber doch noch eine kleine Korrektur: „Du musst das richtig zusammendrücken und quetschen sodass sich das Brot ganz schließt“, erklärt mir die Familie. Gesagt, Getan.
Notiz an mich selbst: Selten ist es mein Kleidungsstil, der mich als Ausländerin verrät. Meistens ist es die („falsche“) Art und Weise wie ich am ersten Tag das lokale Essen verspeise.
Und was die lokalen Arten und Weisen, Normen und Bräuche angeht, ist der Irak für mich ganz klar ein Brücken-Land. In diesem Fall die Brücke zwischen Nahen Osten auf der einen und Asien auf der anderen Seite. Die Asiacell Werbung „Eine Simkarte für ganz Asien“ ist überall ausgehängt. Garküchen werden mit Sonnenuntergang am Straßenrand aufgebaut. Grüne, rote, Masala und weiße Tees werden mit oder ohne Bubbles verkauft. Und gleichzeitig ist auch das der Irak: Mosaike an den Wänden, selbstgewebte Teppiche auf dem Böden und der Geruch von Sisha in der Luft. Palmengärten, Wasserfälle und Reisfelder auf der einen, Wüste und Gestein auf der anderen Seite.
Während meines Trips erfahre ich auch noch von der Existenz der sogenannten „Grünen Zone“, weil Google Maps schnur stracks in einen bis zu den Zähmen bewaffneten
Checkpoint führt, bevor ich mein Abendessenlokal nach nur 60m erreichen sollte. Doch das wird nicht mehr geschehen. Denn ich habe keine blaue Bescheinigung, die mich zum Eintritt
in die Grüne Zone berechtigt. Was macht man in so einem Fall? Jedenfalls nicht stehenbleiben, umdrehen, und zurück gehen. Stattdessen: Unwissend geben, Einsicht zeigen, ein paar arabische
Floskeln zum besten geben, und natürlich bejahen, dass ich Bayern-Fan bin, nachdem mein Ausweis mit „Alemania“ kommentiert wurde. Und dann, halt ein neues Restaurant außerhalb der Grünen Zone
ausfindig machen. :)
Learning 2 auf diesem Trip ist, dass die antike Stadt Babylon heutzutage nicht mehr so, sondern „Hilla“ heißt. Mit diesem Namen finde ich auch den richtigen Minibus, um Bagdad zu verlassen. Abfahrtszeiten gibt es keine – wenn die 12 Sitze gefüllt sind, geht es los. Wahlweise, und wenn der Fahrer ungeduldig ist, kann er aber auch fragen, ob die bereits sitzenden Passagiere die noch offenen Plätze presilich aufteilen wollen.
Stimmen alle zu, was heute der Fall ist, geht es los. Nachdem noch ein paar Plätze getauscht und drei Mal rotiert wurde, bis Frauen neben Frauen und Männern neben Männern (Kinder dienen dabei als Joker zwischen zwei Geschlechtern) sitzen, wird der Motor angelassen.
Beim Verlassen des Busbahnhofs wird ein muslimisches Reisegebet gesprochen und gemeinsam im Sitzen gebetet. Bei dieser Fahrt hat ein alter Herr die Initiative als
Vorsprecher ergriffen, und verbreitet beim Sprechen seine Alkohol-Fahen im gesamten Bus. Nach einigen Kilometern scheint das Eis zwischen den Passagieren gebrochen zu sein, und alle unterhalten
sich und tauschen Snacks. Beim ersten Stopp kauft die irakische Frau hinter mir eine neue Flasche Wasser für mich, weil sie beobachtet hatte, wie ich meine nach nur einer Stunde leer getrunken
hatte. Es ist so heiß.
Auffallend außerhalb Bagdads sind die unzähligen, strengen Checkpoints. Während es ein Kinderspiel war, nach Bagdad einzureisen, ist es ein Adrenalin geladenes Abenteuer, Bagdad im Bus zu verlassen. Als Frau muss man dabei den Bus nie verlassen. Männer unter 60 Jahren müssen jedoch immer zur Ausweiskontrolle und auch teilweise ihr Gepäck öffnen. Ein junger Mann in unserem Bus weist sich stets durch sein Fenster mit einem speziellen Ausweis aus und, und muss trotz seines Alters dann den Bus nicht verlassen. Die Puzzleteile fügen sich zusammen, als er nach 2 Stunden Fahrt an einer Halstestelle aussteigt. Hinten in seiner Hose steckt eine Handfeuerwaffe. Polizei in Zivil.
Dem älteren Herren, der uns durch das Gebet geleitet hat, hatte auf Grund seines Alters an den erstem zwei Checkpoints offenbar Glück. Am dritten Checkpoint musste aber auch er aussteigen – und kam nicht wieder. Ein Soldat holte lediglich seine Tasche noch aus dem Kofferraum.
Babylon - war als Hauptstadt Babyloniens eine der wichtigsten Städte des Altertums. Ihre Ruinen sind heute teilweise freigelegt und UNESCO Weltkulturerbe. Das Ticket (18 Euro) wird – keine Überraschung mehr – vom Militär verkauft. Das andere Touristen die Fotos ruinieren ist im Irak keine Realität. Das kleine Büchlein am Eingang zeichnete den letzten Besucher vor drei Tagen auf – aus Italien.
Weitere Überlandfahrten erfolgten an anderen Tagen nach Karbala und Najaf, die ähnlich imposant sind. Karbala mit der wichtigsten Pilgerstätte für muslimische Schiiten, dem Imam Hussayn Shrine. Und Najaf, zum Leid der BewohnerInnen, ist eine Touristenattraktion für sein „Vally of Peace“, dem größten Friedhof der Welt, mit über 6 Million Gräbenr. Die Frauen, die ich in Najaf treffe, berichten mir, dass selbst unter IrakerInnen mit schwarzem Humor gefragt wird: „Könnt ihr in Najaf auch noch was anderes, außer Sterben?“
Tatsächlich ist Najaf eine wunderschöne Stadt mit Einkaufsstraße und vielen hippen Restaurants. Persönliche Überraschung für mich war ein Restaurant, in dem ein ausgewachsener Löwe uns sein Baby einfach so rumliefen. Mein Tee wird vorausschauend mit dem Hinweis serviert: „Nicht umrühren“, und warnt mich davor, den Kilo Zucker in dem kleinen Gläschen komplett aufzulösen. Daran hätten sie jetzt gleich wieder die Touristin erkannt.
Am Abend werde ich meinem Hotelzimmer überrascht. Raketenbeschuss? Maschinengewehr? Explosion? Mir stockt der Atem, aber nur bis über die Boxen Shakira singt….“Waka Wake Eh-eh-eh“. Ein vorsichtiger Blick vom Balkon bestätigt: Ein Straßenfest, Popcorn-Verkäufer, Kinderschminken und jede Menge glückliche Gesichter. Und dazu eben: Ein kleines Feuerwerk. So unschuldig ist der Irak. So versaut das eigene Mindset durch Medien und Fake-News.
Mit der letzten Minibus-Fahrt zum Flughafen geht ein Traum-Trip zu Ende, über den ich sicherlich noch viele Monate nachdenken werde. Ein letztes Mal den Tigris überqueren. Ein letztes Mal die irakische Flagge vor dem dramatisch-orangen Sonnenuntergang bestaunen. Ein letztes Mal noch mit einer Coke Zero gegen den einschläfernden und berauschenden Benzingeruch im Businneren entgegen halten.
So ein schönes Land. So unerwartet grün. Die vielen Promenaden und Gärten, die gemütlichen Cafés, die außergewöhnlichen Produkte „made in Iraq“ in den Souqs….
Von den vier Frauen im „The Grinders“ Coffee Shop habe ich mich schon verabschiedet. Sie haben sich die Zeit für mich genommen, ihr Leben für ein kurzes Zeitfenster nahbar gemacht und geteilt. Sich geöffnet. Die immer gleichen Fragen von Touristen mit strahlenden Augen auch für mich beantworten. Sich auf mich eingelassen – damit ich mein Weltbild, meine Vorurteile korrigieren und vielleicht diesen Artikel schreiben kann. Und wie so oft denke ich am Ende, vieles ist einfach nicht fair. Auch, dass ich zum Beispiel jetzt einfach gehen kann.
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